Roland Béguelin: Leader politique jurassien.

12. November 1921 – 13. September 1993.


Aufgenommen am 6. April 1979 in Delémont.

> http://www.plansfixes.ch/films/roland-beguelin/

 

> Ohne ihn gäbe es den Kanton Jura nicht. Und nicht den Wiedervereinigungsartikel in der jurassischen Verfassung. Und nicht die Moutier-Frage. – Nach dem Mann, der den Lauf der Geschichte umgelenkt hat, ist heute ein Platz in der Altstadt von Delémont benannt. <

 

Er habe sich in sein Vertrauen eingeschlichen, um die „Revue Transjurane“ umzubringen. Er sei eben, wie sich in der Folge gezeigt habe, ein Lügner gewesen. Und ein Rassist. – > Roland Stähli nennt den Namen des Angeklagten nicht, als er, 2009, mit Empörung auf ihn zu reden kommt (in seinem Plans-Fixes-Porträt: „Je me souviens ...“). Dabei hat es „der junge Gemeindeangestellte“ schon ein Vierteljahrhundert vor der Aufnahme in die Geschichtsbücher gebracht. Und zwar in seiner Funktion als „Leader politique jurassien“.

 

Roland Béguelin lässt sich in seinem Büro filmen. Das Porträt beginnt mit einstudiertem stummem Spiel. Lüge kann man das nicht nennen. Wohl aber Pose für den Hofmaler – sprich: das Kamerateam, das ihn nach Erreichung seines geschichtlichen Triumphs zuhanden der Nachwelt auf Zelluloid festbannt. Eben wurde der Kanton Jura unabhängig. Die neue Republik gab sich eine Konstitution. In seinem bescheidenen Büro schlägt Roland Béguelin die Zeitung auf, mit der er fünfundzwanzig Jahre lang den Kampf geführt hat. Ihr Titel läuft über die ganze Seite: „Jura libre“. Einst bezeichnete die Parole eine Verheissung. Jetzt eine Tatsache. Roland Béguelin hat sie geschaffen. Der Held steht hinter seinem Pult. Und die Kamera blickt zu ihm auf. Die Lektion gehörte zum Pflichtstoff der politwissenschaftlichen Studiengänge.

 

Indem der Film – im Zusammenspiel mit Roland Béguelin – die Person porträtiert, führt er vor, wie ein ikonisches Gemälde entsteht. „Image Control“ gehört dazu. Und Sinn für die Symbolik der Gebärde. Makellos tritt Roland Béguelin auf. Mit eleganten staatsmännischen Bewegungen zeigt er, dass er “à l’aise“ ist. Nichts deutet auf den geifernden Ideologen. Vor ihm steht die Vision einer „histoire de la longue durée“. Und unter steht ihm die Politik. Um das deutlich zu machen, erhebt er sich von seinem Stuhl und blickt hinunter auf die Kamera, während er mit den Händen die Distanz anzeigt, welche die hohe geschichtliche Aufgabe vom niedrigen Parteienschacher trennt. Wer sich für Geschichte interessiert, wird an Robbespierre denken.

 

Roland  Béguelin macht klar, dass es ihm um Strategie geht, nicht um Taktik: Gesiegt hätten er und seine Mitstreiter, weil sie in der Lage gewesen seien, in geschichtlichen Dimensionen zu denken, und nicht, wie die gewöhnlichen Politiker, in Legislaturen und Wiederwahlen. Darum brauchten sie sich auch nicht zersplittern zu lassen von der Vielzahl der Fragen, die ein Staat zu lösen hat, sondern konnten festhalten an einem einzigen Ziel: Abspaltung von Bern, Gründung eines eigenen Kantons. Die Führer des „Rassemblement jurassien“ verhielten sich dabei wie der englische Sozialreformer Robert Owen, der seinen Leuten predigte: „Streitet nicht. Wiederholt eure Behauptung.“ (Don’t argue. Repeat your assertion.) Die Behauptung lautete, „das jurassische Volk“ werde von „Bern“, also dem Feind, „germanisiert“. Es gehe deshalb um die Verteidigung der kulturellen Identität, die von Frankreich geprägt sei und nicht von Deutschland. In der Schweiz aber würden die lateinischen „Völker“ von „den Germanophonen“ unterdrückt.

 

Was sich an diesen Worten zeigt, ist die Kraft der Narration. Wenn es gelingt, die Ansicht in die Köpfe zu bringen, Macron sei der Präsident der Reichen, Bern sei ein Unterdrückerstaat und das internationale Judentum habe sich gegen Deutschland verschworen, dann ist die Partie entschieden. Der Angegriffene kann nur noch abwehren. Das Momentum aber ist beim Angreifer. Sobald er das „gerechte Volksempfinden“ mobilisiert, Empörung lostritt und „Aufstand!“ ruft, brechen die Dämme, und es entsteht eine neue Situation.

 

Am Anfang des Porträts wird Roland Béguelin gefragt, ob ihm seine Rolle vom Zufall oder vom Schicksal zugespielt worden sei. Er antwortet achselzuckend: „ Der Zufall ist das Schicksal, und das Schicksal ist der Zufall.“ Und so ist es. Wäre Béguelin nicht in Tramelan zur Welt gekommen, stellte sich heute die Moutier-Frage nicht. Hellsichtig aber erklärte der Leader politique jurassien schon vor vierzig Jahren: „Wer Moutier besitzt, besitzt den ganzen Jura. Dann ist das jurassische Volk endlich wiedervereinigt.“ Das ist die Vision. Bern hat ihr nichts Gleichwertiges entgegenzustellen. Darum ist die jurassische „Frage“, vierzig Jahre nach Béguelins Tod, noch nicht „gelöst“.

 

Anders sähe es aus, wenn Béguelin nicht in Tramelan, sondern im Seebezirk geboren worden wäre. Dann würde die Schweiz von dieser Gegend in Trab gehalten. Napoleon schlug nämlich 1803 Murten zu Freiburg, ohne die Einwohner nach ihrer Meinung zu fragen. Nach dem Wiener Kongress blieb das Murtenbiet Bestandteil des Kantons Freiburg. Dabei fühlen sich die Autochthonen bis heute als Berner und nicht als Freiburger. Sie haben den protestantischen Glauben und nicht den katholischen. Am Tor des Städtchens prangt das Berner Wappen und nicht das Freiburger. Und bis heute halten die Murtener im französischsprachigen Kanton an ihrem „angestammten“ berndeutschen Idiom fest.

 

Aber vielleicht fahren sie am Ende gar nicht so schlecht, und es ist möglicherweise mehr als Zufall, nämlich Klugheit, dass sie sich still halten und die Welt nehmen, wie sie ist. Ins Stammbuch des Politbetriebs jedenfalls schrieb der kolumbianische Selberdenker Nicolás Gómez Dávila: „Zu wissen, welche Reform die Welt braucht, ist das einzige eindeutige Symptom der Dummheit.“

 

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