Armand Forel: Arzt und Politiker.

 29. April 1920 – 27. Februar 2005.

 

Aufgenommen am 18. Juli 1971 in Nyon.

http://www.plansfixes.ch/films/armand-forel/

 

> Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Vater und Sohn kamen beide in einem Irrenhaus (asile d’aliénés) zur Welt: Der Papa im Burghölzli, der Filius in der Waldau. „Böse Zungen behaupten, man merke mir diese Herkunft heute noch an“, sagt Dr. med. Armand Forel gemütlich und lehnt sich in der gleichen Haltung zurück wie einst sein 89-jährer Vater > Dr. med. Oscar Forel für die Aufnahme der „Plans Fixes“. <


Die Ärzte-Dynastie der Forels hat der Psychiater, Menschenfreund und Ameisenforscher Auguste (1848-1931) begründet; und der brachte es am Ende des 20. Jahrhunderts auch auf die Schweizer Tausendernote. Auguste war Direktor der Landesheilanstalt Burghölzli, als Oscar dort entbunden wurde. Und Oscar seinerseits war Direktor der Waldau, als Armand zur Welt kam. Abgewandelte Wiederkehr des Gleichen. Die Sprösslinge benahmen sich so, wie man es damals von Psychiaterssöhnen erwartete: „Pfarrers Kind und Müllers Vieh / geraten selten oder nie.“ 

 

Sie gingen mit heftigem Widerwillen zur Schule und fühlten sich dort unglücklich. Ihr ungebärdiges Wesen überforderte die Lehrer. Die Eltern mussten sie aus dem öffentlichen Unterricht nehmen und in Institute stecken. Heute würde man in ihrem Fall abklären, ob Hochbegabung vorliegt. Damals aber lautete das Urteil trocken: „Betragen ungenügend.“ Oscar legte schliesslich an der Kantonsschule Solothurn die Matur ab, doch nicht, ohne im Lehrkörper tiefe Spuren zu hinterlassen. 

 

Als er an der Universität Psychiatrievorlesungen hielt, trat ein Student ans Rednerpult und fragte, ob er wirklich Forel heisse. „Ja, warum?“ Der junge Mann erklärte, er habe sich seinerzeit an der Kantonsschule Solothurn ungebührlich verhalten, worauf der Rektor zornbebend die Faust geschüttelt und geschrien habe: „Einen zweiten Forel werden wir nicht dulden!“

 

Armand, Oscars Sohn, flog aus der Staatsschule. Bis zur Matur fehlten ihm drei Jahre. Um ans Institut Tschulok in Zürich wechseln zu können, schlug er dem Vater einen Deal vor: „Wenn ich in zwei Jahren nicht die eidgenössische Matur mache, werde ich nie mehr etwas von dir verlangen.“ Die Herausforderung war gross. Und die Lücken auch. Aber der Bursche brachte sich mit dem eisernen Willen der Forels den fehlenden Stoff selber bei. Am Ende bestand er die Prüfung „glanzvoll“, wie er meint: mit 46 von 44 geforderten Punkten. Damit war die Last von den Schultern, und er konnte das Medizinstudium aufnehmen.

 

Vater und Sohn hatten stets ein grosses Vorbild vor Augen: Auguste. Seine immense, weit ausgreifende Schaffenskraft, seine beeindruckende Menschlichkeit und sein Durchhaltewille setzten die Latte hoch. Nur ein Beispiel: Als Auguste zur rechten Hälfte gelähmt wurde, brachte er sich das Schreiben mit der linken Hand bei und verfasste damit, in gestochen klarer Schrift, noch fünf Bücher.

 

Zeitlebens war Auguste so beschäftigt, dass er nur unregelmässig am Esstisch auftauchte. „Ich habe meinen Vater fast nie gesehen“, erzählt Oscar in den „Plans Fixes“. Dasselbe sagt nun Armand, elf Jahre später, über seinen Vater. Aber eben – die Forels arbeiteten immer auf tausend verschiedenen Feldern; doch stets galt ihr Einsatz den Armen und Benachteiligten.

 

Oscar gründete zwar für Begüterte die psychiatrische Privatklinik Les Rives de Prangins. Aus Divonne, dem Tummelplatz der reichen Neurotiker, wie er sagt, wurden ihm die Patienten von den Badeärzten hinübergereicht. Aber während des spanischen Bürgerkriegs nahm er auch, zum allgemeinen Entsetzen der Gegend, achtzehn unbemittelte Republikanerkinder unter seinen Dächern auf. Und als Antifaschist unterstützte er nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs tatkräftig die Résistance.

 

Der Charakter, das Vorbild, das Familienklima färbten ab. Geartet nach dem Wort von Georg Christoph Lichtenberg: „Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun“, sah Armand noch vor dem Krieg bei einem Besuch in München mit Entsetzen, wie die Juden gezwungen wurden, mit ihren Zahnbürsten zuerst das Pflaster und dann die Zähne zu putzen.

 

Zurück in der Schweiz stellte sich ihm die Frage: „Was kann man – was kann ich – gegen den Faschismus tun?“ Armand erkannte, dass er als einzelner ohnmächtig sei und einer Gruppierung beitreten müsse. Doch die Parteien wiegelten ab: Was er behaupte gesehen zu haben, sei im Land von Beethoven, Schiller und Goethe unmöglich. Die einzigen, die in den Dreissigerjahren die Gefahr weder leugneten noch verniedlichten, waren die Kommunisten. Deshalb trat Armand mit 23 Jahren dieser verbotenen Partei bei. Ein Jahr später, 1944, wirkte er bei der Gründung der Schweizerischen Arbeiterpartei mit.

 

Durch Waffenschmuggel unterstützte er den antifaschistischen Widerstand in Italien. Als es brenzlig wurde, versteckte er einen Rucksack voller Granaten im Haus seines Vaters. Er sagte sich: „Der ist so angesehen, da wird niemand suchen.“ Später erst, zur Zeit der Geständnisse, kamen die Sachen ans Licht: Oscars Geheimtätigkeit, Armands Geheimtätigkeit. Und da sagte der Vater: „Komm am Sonntag zum Essen. Ich habe eine Überraschung für dich.“ Da stellte er Armand eine junge Frau vor: Seine achtzehn Jahre lang verheimlichte Halbschwester ...

 

Der politische Einsatz brachte Armand  mit 25 ins Waadtländer Kantons­parlament, mit 27 in den Schweizer Nationalrat und später, mit 38, in die Exekutive von Nyon. Die bürgerlichen Kräfte sahen den Aufstieg des Kommunisten ungern. Am Waadtländer Universitätsspital wurde er deshalb vor die Alternative gestellt: entweder Politik oder wissenschaftliche Karriere. Beides gehe nicht. Armand Forel entgegnete: „Mit 29 lasse ich mich nicht mehr erpressen.“ Er löste seinen Vertrag auf und gründete in Nyon eine allgemeinärztliche Privatpraxis. 

 

40’000 Patienten hat er im Lauf von 40 Jahren behandelt. Er war unermüdlich. Wenn er aus dem Nationalrat zurück war, ging er noch auf Hausbesuche. So wurde er, wie Wikipedia festhält, „bekannt als Arzt der Armen“. Dieser Ruf wiederum verhalf ihm zu Ansehen und glänzenden Wahlresultaten. „Wir haben einen Fehler gemacht“, gestand später Louis Guisan, der Sohn des Generals. „Wir hätten dir einen Lehrstuhl an der Universität oder die Direktion der psychiatrischen Universitätsklinik geben sollen, statt dir entgegenzu­arbeiten. Dann hättest du uns in der Politik weniger Schwierigkeiten gemacht.“

 

Auguste – Oscar – Armand: Alle drei Forels zeichneten sich aus durch eiserne Gesundheit, kompromisslose Wahrheitsliebe, unbeugsamen Durchhaltewillen, nimmermüden Einsatz für die Benachteiligten... und tiefe Sorge um den Planeten. Armand zitiert einen Aphorismus seines Vaters: „Wir sollten uns in der Natur benehmen wie Gäste, nicht wie Eigentümer.“ Mit diesem Appell schliesst der Film. Die Aufnahme entstand 1991, elf Jahre nach dem Porträt, das die „Plans Fixes“ vom Vater gemacht hatten. Schon der hatte – es ist jetzt vierzig Jahre her – vor der Ausbeutung des Planeten gewarnt. Doch was hat’s gefruchtet? Gute Nacht.

 

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